Zweite Stromleitung ins Nürnberger Land.
Der von den Übertragungsnetzbetreibern am 24. März 2023 veröffentlichte Netzentwicklungsplan wirkt insgesamt wie ein Brandbeschleuniger. Die Pläne für noch mehr neue Stromleitungen werden in vielen Regionen nicht auf Akzeptanz, sondern auf Widerstand stoßen.
Wovor die Bürgerinitiativen (BI) im Aktionsbündnis Trassengegner seit Jahren warnen, nimmt mit dem neuen Netzentwicklungsplan erstmals konkretere Züge an: Ein weiteres Stromtrassen-Projekt zwischen Altdorf – Winkelhaid und Schwandorf soll gebaut werden. In der Region Nürnberger Land und um Altdorf trifft Übertragungsnetzbetreiber Tennet mit seinem überdimensionierten Netzentwicklungsplan auf Bürgerinitiativen, die seit über neun Jahren aktiv sind. Schon 2014 wurde effektiver Widerstand gegen die Gleichstromtrasse „Süd-Ost-Passage“ geleistet, 2019 wurden die Pläne der Firma Tennet für die Wechselstromtrasse P44mod durchs Nürnberger Land erfolgreich abgewehrt. Wachsende Proteste finden entlang der Juraleitung und im Umfeld des geplanten zweiten Umspannwerkes bei Ludersheim und Winkelhaid statt.
Sorgen bereiten muss jedoch der Netzentwickungsplan insgesamt. Es werden für Deutschland zahlreiche neue Gleichstromtrassen geplant, und auch das Fränkische Seenland soll von einer neuen Wechselstromtrasse von Ost nach West durchschnitten werden. Die Kosten für diese Projekte werden zu einer massiven Erhöhung der Netzentgelte führen. Strom wird zum Luxusgut. Eine sozial gerechte Energieversorgung wird damit nicht gelingen.
Warum es keine Akzeptanz für neue Übertragungstrassen geben wird
Die politische Diskussion um den Netzausbau ist geprägt von einer erheblichen Ignoranz dem gegenüber, was die Menschen vor Ort tatsächlich inhaltlich bewegt. Es wird seitens der Netzausbau-Projektierer aus Wirtschaft und Politik viel gemutmaßt, warum der Übertragungsnetzausbau seit Jahren auf großen Widerstand stößt. Gespräche mit den Bürgerinitiativen und der betroffenen Bevölkerung finden aber so gut wie nicht statt. Als einfaches Erklärmodell wird immer wieder versucht, die Kritik an den Stromtrassen-Plänen auf gesundheitliche Bedenken zu reduzieren. Wäre die Angst vor Gesundheitsgefahren der einzig ausschlaggebende Grund für die Ablehnung, könnte man über eine Umsetzung des geplanten Übertragungsnetzausbaus unter bestimmten Bedingungen reden.
Ausschlaggebend für die Ablehnung neuer Übertragungs-Stromleitungen sind wesentlich differenziertere Gründe als die angebliche Angst vor einer „veränderten Heimatkulisse“, wie Wirtschaftsminister Habeck kürzlich in einer Pressekonferenz vermutet hat, ohne jemals mit den Betroffenen in den Protestregionen gesprochen zu haben. Der Anblick von Strommasten ist sicherlich nicht das Problem.
Im bundesweit aktiven Aktionsbündnis Trassengegner sind viele Mitglieder auch in der Bürgerenergie engagiert. Den Ausbau von Erneuerbaren Energien mit Windkraft und PV-Anlagen zu fördern ist Aktionskonsens. Das Argument, die Bevölkerung hätte Angst vor sichtbarer Veränderung durch die Energiewende, greift deshalb nicht. Die Menschen wollen aber Anteil haben an den geplanten Veränderungen. Und genau da versagt das Strommarktmodell der Bundesregierung. Energiewende ist nicht beliebig umsetzbar. Energiewende ist der Ausbau von Erneuerbaren Energien, nicht nur in Norddeutschland, von Speichern und Reservekraftwerken vor Ort, verbunden mit einem Ausbau der regionalen Verteilnetze. Dieser Stromtrassen-Ausbau wird von den Bürgerinitiativen ausdrücklich eingefordert.
Die kürzlich vom Aktionsbündnis Trassengegner organisierte Online-Veranstaltung mit Experten von BUND Naturschutz und dem Energieversorger N-ERGIE am 23. März 2023 mit über 150 Teilnehmenden hat einmal mehr gezeigt, dass viele Menschen sich für das komplexe Thema Energieversorgung interessieren und dabei mitreden wollen. Sie setzen sich mit dem Thema Netzausbau differenziert und mit Unterstützung von Fachleuten auf Basis der vorliegenden offiziellen Netzentwicklungspläne auseinander.
„Zeitenwende“ auf dem Strommarkt muss Ziel werden
Der neue Netzentwicklungsplan Strom 2037/2045 (2023) lässt erkennen: Der Stromtrassen-Ausbau ist fokussiert auf die Bedürfnisse der alten Stromkonzerne und führt zu einer Abhängigkeit vom Ausland. Deutschland wird aufgrund seiner zentralen Lage zum Stromtransit-Land. Die Verstärkung der neuen Ost-West-Transit-Trassen sollte endlich das Ende des Windstrom-Märchens bedeuten. Der von den Übertragungsnetzbetreibern geprägte, viel zitierte Satz, “der Windstrom muss vom Norden in den Süden” als angebliches Erklärmodell für den Bedarf neuer Stromleitungen hat ausgedient: Immer deutlicher werden die Pläne für den europäischen Stromhandel sichtbar. Jetzt heißt es: „Der Atomstrom muss vom Westen in den Osten“ – und umgekehrt.
Der Widerstand gegen die geplanten Übertragungsnetzausbau-Projekte wird seitens der Bürgerinitiativen im Aktionsbündnis Trassengegner auf Verzögerung und Verhinderung durch Proteste und juristische Mittel ausgerichtet bleiben. Die Bundesregierung und Landesregierungen fordern wir dazu auf, nicht länger mit Vollgas in eine gefährliche energiepolitische Sackgasse zu steuern. Klimaschutz und eine bürgernahe Energiewende werden durch die rein auf ein zentralistisches System ausgerichteten Netzausbau-Pläne verhindert. Dazu kommt an vielen Orten die drohende Zerstörung wertvoller Wälder und Böden durch Freileitungsschneisen und Erdkabel-Trassen – Zerstörungen, die in keinem Netzentwicklungsplan eingepreist und berücksichtigt werden.
Noch ist keines der überdimensionierten Stromtrassen-Projekte weiter gekommen als zum ersten Spatenstich. Zeit genug also für die Bundesregierung, endlich auch die „Zeitenwende“ auf dem Strommarkt einzuläuten.
Mitgeteilt von pressestelle@stromautobahn.de
(Veröffentlicht mit deren freundlichen Zustimmung )
Aus dem Netzentwicklungsplan Strom 2037/2045 (2023):
“In allen vier Szenarien ist Deutschland das Land in Europa mit sowohl dem Spitzenwert für Transite in einer einzelnen Stunde als auch für den Umfang der Transite über das Jahr summiert. Der hohe Stromaustausch durch Deutschland ist eine Folge der zentralen Lage des deutschen Marktgebietes im europäischen Verbund.”
https://www.netzentwicklungsplan.de/sites/default/files/2023-03/NEP_2037_2045_V2023_1_Entwurf_Teil1.pdf
S.69
„Deutschland entwickelt sich in den Szenarien zu einem großen Netto-Stromimporteur in Europa. Dies ist insbesondere auf die vergleichsweise hohe inländische Stromnachfrage und die hohe installierte Leistung der erneuerbaren Energien im Ausland zurückzuführen. Die importierte Strommenge steigt von 2037 bis 2045 deutlich an und ist im Szenario C 2045 am größten. Insbesondere aus Frankreich, Österreich und Skandinavien werden in den Szenarien große Strommengen importiert.“
NEP kompakt_2037_2045_V2023_1E.pdf (netzentwicklungsplan.de)
S. 12
“Insbesondere in Frankreich weist die Kernenergie mit vergleichsweise geringen variablen Kosten signifikante Anteile an der Stromerzeugung auf.”
NEP_2037_2045_V2023_1_Entwurf_Teil1_7.pdf (netzentwicklungsplan.de)
S. 65